von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war im August/September 2007 in Upper und Lower Mustang (Annapurna-Region). Der Flug wurde über www.atmosfair.de klimaneutral gestellt. Die Reise und alles, was damit zusammen hängt, wurden wie immer privat finanziert.
Damit die Auswahl der Mütter und die Vergabe der Tiere von Anfang an nach unseren Kriterien erfolgt, bin ich gleich zu Beginn mit Susanne von der Heide (HimalAsia) und Laxmi Gauchan (Gründerin und Vorsitzende der von HimalAsia beauftragten einheimischen NGO Sahayog Himalaya-Nepal) durch eine größere Projektregion gelaufen. Bei den Vergabegesprächen in den Dörfern wurde rasch offenbar, dass eine direkte und ausschließliche Zusammenarbeit von Esel-Initiative und Sahayog Himalaya-Nepal sinnvoller ist. Dem hat Frau von der Heide ebenso zugestimmt wie der Vorstand der Esel-Initiative, so dass inzwischen eine Kooperationsvereinbarung direkt mit Sahayog Himalaya-Nepal geschlossen wurde.
Erschütternde Frauenarmut
In Mustang ist die Armut allein erziehender Mütter fernab und sogar entlang der Treckingstrecke selbst im Sommer erschütternd. Im Winter herrschen in Upper Mustang monatelang 30-35 Grad minus. Bis auf einige Witwen hatten die allein erziehenden Mütter weder Haus noch Tier. Im Norden von Upper Mustang leben etliche der allein erziehenden Mütter noch in Felshöhlen.
Nur wenige Mütter hatten zumindest ein kleines Stück Land. Sie sind ständig darauf angewiesen, als Tagelöhnerin Geld (ca. 1 Euro pro Tag) zu verdienen: In den wenigen Monaten der Landarbeit arbeiten sie auf den Feldern anderer und bringen auf dem Rücken deren Ernte ein. In den übrigen Monaten schleppen sie Steine zu Baustellen und bauen Mauern um die Felder von Landbesitzern. Im Winter schlagen sie Holz und verkaufen es. Viele können ihren Töchtern keinen Schulbesuch ermöglichen.
Eselvergabe beginnt
Handel treibende Männer haben Mulis, die sämtlich aus Indien importiert werden und unfruchtbar sind. Frauen und Mädchen schleppen traditionell alle Lasten auf dem eigenen Rücken. Esel wurden erst nach 1959 von tibetischen Freiheitskämp-fern nach Mustang mitgebracht. Es gibt dort nur wenige. Sie sind nicht im Besitz von Frauen. Die Mustang-Esel haben – wie Yaks – relativ kurze Beine und sind sehr stämmig gebaut. Sie tragen – ganz offensichtlich problemlos – tagelang 50 kg-Säcke zu Marktorten. Mulis sind jedoch stärker. Daher ist absehbar, dass Esel mangels Nachfrage in der Region aussterben, bevor sie je Frauen entlastet haben.
Sahayog Himalaya-Nepal beginnt jetzt im Norden von Upper Mustang mit der Vergabe weiblicher Esel. Da sie für die Lasten und Wege der Frauen mehr als ausreichen und weniger Futter brauchen als Mulis, sind sie für die allein erziehenden Mütter ideal. Wenn ihr Nutzen für Frauen offensichtlich wird, und die Mütter selbst züchten, können wir in einigen Jahren mehr Esel schenken.
Einkommen von Milch und Eiern
Zur Zeit vergeben wir in Mustang hauptsächlich Kühe. Der Milchpreis ist hoch und gibt selbst den Müttern ein gutes Einkommen, die nur Milch an andere Haushalte verkaufen. Entscheidend für die Wahl der Kuhart sind die Futtersituation vor Ort, die Höhe, die Winterkälte und die Milchmenge. Wer am Haus keinen Platz für das Tier hat, erhält vom Dorf ein Stück Land für Stall und Auslauf. Futter können die Frauen rings ums Dorf schneiden. Die Preise für die Kühe liegen je nach Region zwischen 100 und gut 300 Euro.
In einigen wenigen Orten an der Grenze zwischen Lower und Upper Mustang haben Kühe mit ausreichender Milchmenge nicht genug Futter. Dort vergeben wir übergangsweise 19 Hühner plus Hahn. Auch Eier schaffen ein gutes Einkommen. In einem Ort dieser Region, Kagbeni, wächst seit acht Jahren sehr ertragreiches und von Kühen geschätztes Gras. Pema D. hat den Samen aus einer ökologisch ähnlichen Himalajaregion erhalten. Sie gibt ihn jetzt kostenlos an diese Dörfer weiter, damit das Kuhprojekt in einigen Jahren auch dort beginnen kann.
Würde der Mütter achten
Wir wollen, dass die allein erziehenden Mütter stolz auf sich selbst und das von ihnen Erreichte sind, dass sie nicht immer wieder Europäern „danke“ sagen müssen. Wer einmal die Eigenheimzulage bekommen hat, würde sich auch dagegen wehren, wenn plötzlich wildfremde Steuerzahler vor der Tür stünden und das Haus besichtigen wollten. Aber selbst für Eritrea fragen pro Woche mindestens zwei Interessierte an, weil sie mitreisen oder auf eigene Faust Esel-Besitzerinnen treffen wollen. Wir lehnen das ab.
Spenderinnen und Spender verstehen und akzeptieren fast immer unsere Gründe, aber manche Interessierte sind sehr hartnäckig. Um im Tourismusland Nepal die allein erziehenden Mütter vor interessierten oder nur neugierigen Treckern zu schützen, kürzen wir die Namen in den Nepal-Reiseberichten ab und hoffen auf Ihr Verständnis.
Erste Kühe vergeben
Die Witwe Lal K. ist die ärmste Frau in Thini (Lower Mustang). Die Tagelöhnerin muss die Miete für ihr kleines Haus in Rupien zahlen. Nachbarn helfen ihr, das Schulgeld für alle fünf Kinder aufzubringen. Um Schulhefte kaufen zu können, verkauft sie einen Teil der Ernte ihres Gemüsegartens, der eigentlich für die Familie gedacht war. Die Kuh wird ihr pro Tag ein zusätzliches Verdienst von etwa 4 Tagelöhnen bringen.
Die 22jährige Raj K. aus Lete (Lower Mustang) wurde vom Vater ihres Kindes verlassen und sorgt jetzt allein für ihren dreijährigen Sohn. Im Moment wohnt sie im Haus ihrer Eltern. Das wird aber ihr Bruder erben. Ihr Ziel ist, ein eigenes Haus zu haben, wenn ihr Bruder einmal heiratet.
Raj K. hat für ihre Kuh schon einen Stall gebaut und für die Geburt des Kalbs den Boden weich ausgepolstert. Die Milch will sie verkaufen, ein weibliches Kalb auf jeden Fall behalten.
Die Kuh der 65jährigen Großmutter Bim K. aus Lete hat ihr Kalb bereits bekommen. Bim K. ist eine sehr beeindruckende Frau. Als ihr Mann starb, konnte sie in ihrem entlegenen Dorf nicht mehr überleben. Mit 300 Rupien (3,50 Euro) in der Tasche ging sie nach Lete und baute einen Unterstand für sich und ihre Tochter. Seit deren Tod sorgt sie für ihre beiden kleinen Enkelinnen. Sie kocht für Lastenträger (Porter) und die Treiber von Muli-Trecks. Jetzt bietet sie auch kleine Tassen heißer Milch an. Dabei verdient sie pro Liter sehr viel mehr als beim Verkauf an Haushalte. Ihr selbst gebautes Haus müsse ständig repariert werden, aber sie werde alt, da sei das zusätzliche Einkommen aus der Kuh eine große Hilfe.
Polyandrie verbreitet
In Upper Mustang ist vor allem in den entlegenen Regionen noch Polyandrie üblich. Damit das Land nach dem Tod der Eltern nicht geteilt werden muss, sind die jüngeren Brüder ebenfalls mit der Frau des ältesten Sohns verheiratet. In Regionen mit Polyandrie gibt es zwangsläufig viele unverheiratete Frauen. Es ist für sie kein Makel, ein oder mehrere Kinder zu haben. Aber diese Frauen sind ohne jeden Besitz und müssen die schwersten Arbeiten annehmen.
Glück hat noch, wer in einer großen Stadt wie Lo Mantang lebt: Mit 1200 Einwohnern gibt es in diesem Ort auch Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landarbeit. Glück hat auch noch, wer im Haus der Eltern/des Bruders wohnen darf oder beim Arbeitgeber. Ganz schwer ist es für die allein erziehenden Mütter, die Miete zahlen müssen.
Schuften für die Zimmermiete
Die 23jährige Diki G. zog als Kind und verheiratete Frau mit den Yaks über die Hochweiden. Als ihr Mann starb, ging sie allein mit ihrem zweijährigen Kind hinunter nach Lo Mantang. Sie hat dort keine Verwandten, aber in Lo Mantang gibt es eine Schule. Als Miete für ihr Zimmer muss sie für den Hausbesitzer pro Monat zehn Tage schwere Arbeit leisten. An den anderen Tagen verkauft sie Tee, künftig auch heiße Milch und kocht für eine Schule.
Die 31jährige Duki G. (Lo Mantang) muss sogar 15 Tage pro Monat für die Miete arbeiten. An den anderen Tagen kocht die Mutter einer einjährigen Tochter für andere. Mit der Kuh haben diese Frauen auch in den Wochen ein tägliches Einkommen, die sie für die Miete ableisten müssen.
Mütter leben in Feldhöhlen
Noch schwieriger ist es für allein erziehende Mütter in den kleinen Dörfern. Je entlegener das Dorf, je ferner von buddhistischen Klöstern, desto verbreiteter ist Polyandrie. In Chössar (ein halber Tagesweg nordöstlich von Lo Mantang) leben gut 700 Menschen, davon sind 25 allein erziehende Mütter mit kleinen Kindern. Sie besitzen rein gar nichts und erhalten jetzt eine Kuh. Etliche dieser Frauen leben in Felshöhlen, denn dann erhalten sie für alle Tage, an denen sie Tagelöhnerarbeit finden, auch Geld.
Die 35jährige Dossilamo G. lebt mit drei kleinen Kindern in einer Felshöhle. Sie hat sie etwas ausgebaut und sogar einen Gemüsegarten angelegt. Die Felshöhle der jungen Frau ist luxuriös verglichen mit den winzigen, von der Kochstelle verrauchten Felshöhlen, in denen alte Frauen leben.
Pömba L. ist zwischen 50 und 60 Jahren alt und hat nicht mehr die Kraft, ihr Felsloch auszubauen oder schwere Arbeit für andere zu leisten. Die landlose Frau hat immer hier gelebt. Seit ihre allein erziehende Tochter gestorben ist, muss sie nun auch noch für ihre Enkelin sorgen. Die Achtjährige geht sogar zur Schule. Es war beschämend, aus dem Wohlstand Europas kommend dieser Großmutter in ihrem rußschwarzen Felsloch gegenüberzustehen und die Tränen in ihren Augen zu sehen, als sie hörte, dass sie eine Kuh erhält.
Pferde für Hebammen
In Upper Mustang erreicht nur die Hälfte der Kinder das 5. Lebensjahr. Bei jeder zehnten Geburt stirbt die Mutter. Hebammen und die in Geburtshilfe ausgebildeten weiblichen Amchis (Ärztinnen der traditionellen tibetischen Medizin) müssen mobiler werden. Das geht dort nur mit Pferden. Sie kosten ca. 650 Euro. Das ist sehr viel teurer als die „Hebammentaxis“ in Eritrea, aber diese Pferde retten Frauen vor einem qualvollen Tod. Ich betrachte eine sichere Geburt als erstes Men-schenrecht eines Neugeborenen und seiner Mutter. Ich möchte die Vergabe dieser Hebammentaxis auf jeden Fall fortsetzen.
Wir haben bereits ein Pferd an die gut ausgebildete Hebamme von Samar (3660 m) vergeben. Sie ist für mehrere Dörfer zuständig, die etliche Stunden auseinander liegen. Dolka G. bringt Frauen mit absehbar schweren Geburten mit dem Pferd nach Chuksang (2980 m) in die Gesundheitsstation. Auf dem Weg muss sie mehrfach sehr viel mehr als 700 Höhenmeter in steilen Steigungen überwinden und an einer Stelle sogar den Kali Ghandaki Fluß durchqueren.
Drei ausgebildeten Amchis, die in den Bergen nördlich von Lo Mantang eingesetzt sind, haben wir Pferde zugesagt. Die 23jährige Rinzin W. ist in der Region Chössar stationiert, die 22jährige Pema D. im Einzugsgebiet des Kimling-Flusses und die 22jährige Rinzin W.G. in der Region Chonop (selbst für Nichtschwangere ein Tagesritt bis Lo Mantang). Sie bringen mit den Pferden so viele Mütter wie möglich ein paar Tage vor der Entbindung in die Amchiklinik nach Lo Mantang. Die anderen Geburten betreuen sie selbst. Außerdem nutzen sie die Pferde, um Heilkräuter in den Bergen zu sammeln.