von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war im August/September 2008 in Upper und Lower Mustang und Myagdi (Annapurna-Region). Der Flug wurde über www.atmosfair.de klimaneutral gestellt. Sie hat die Reisekosten gespendet.
Die 53jährige Witwe Shanta K.N. aus einem Dorf bei Lete
(Lower Mustang) war eine der ärmsten Frauen, die 2007 eine Kuh erhielten. Die Mutter von sechs Jungen arbeitete als Wäscherin und holte für andere Holz aus dem Wald (0,70-1 Euro pro Tag, falls sie Arbeit fand). Die Kuh bringt ihr 2,50-3 Euro pro Tag durch den Verkauf von Milch.
Shanta hat drei Hühner und fünf Küken gekauft. Sie hat inzwischen zwei weibliche Kälber – und jede Menge Dung. Deshalb rodete sie ein Stück Wildnis hinter ihrem Haus und legte Terrassen an. Sie zog selbst Kohl-, Rettich- und Stangenbohnenpflanzen aus Samen und hat allein mehr als 100 Weißkohlköpfe, die sie an Gästehäuser der Treckingstrecke verkauft. Da sie so viel Dung hat, pachtete sie zusätzlich ein Feld, auf dem sie Mais anbaut – für die eigene Familie und als Zufütterung im Winter.
Auch die 48jährige Ottar K. aus Taglung hat ihre Kuh 2007 erhalten. Sie muss für ihren Enkel sorgen. Mit der arbeitsaufwändigen Herstellung von Ghee (sehr haltbares Fett aus ausgelassener Butter) verdient sie sogar 12 Euro wöchentlich. Sie lebt in einem kleinen Dorf im Wald und verkauft ihr Ghee im Dorf und an Gästehäuser entlang der einige Stunden entfernten Treckingstecke in Lower Mustang.
Auch sie hat einen Gemüsegarten und ein Feld angelegt. Sie hat ein männliches Kalb und will es behalten: Wegen des Dungs und weil sie später 2 Euro pro Tag bekommt, wenn sie den ausgewachsenen Ochsen zum Pflügen verleiht.
Im kargen Upper Mustang, das eher einer Bergwüste mit Dörfern in kleinen Oasen ähnelt, nutzen die Mütter den Dung als Brennstoff beim Kochen. Die eigene Kuh erspart ihnen tagelange Wege mit der Kiepe durch die Berge auf der Suche nach Kuhfladen. Aber in den Regionen mit üppiger Vegetation (Myagdi und Teile Lower Mustangs) legen fast alle Mütter mit dem Dung Gemüsegärten oder Felder an.
Einige Witwen, die das Feld ihrer verstorbenen Männer bestellten, mussten vor dem Erhalt der eigenen Kuh drei Monate lang pro Tag ca. 12 kg frisches Gras für die Kühe anderer Leute holen, um Dung für ihr Feld zu bekommen. Die Witwe Prossila T. aus Sauru musste für das Recht, die Ziegenperlen für ihr Feld aufsammeln zu dürfen, jedes Jahr anderthalb Monate – außer ihren vier Kindern – auch noch den Ziegenhirten verpflegen. Die Tagelöhnerin darf derzeit kostenlos in einem Haus des Schwiegervaters wohnen. Ob sie nach seinem Tod dort bleiben kann, ist ungewiss.
Vor allem im Norden Upper Mustangs sind viele allein erziehende Mütter gänzlich vom Wohlwollen eines Verwandten abhängig – bzw. davon, dass die eigene Mutter möglichst lange lebt. Denn dort ist Polyandrie noch verbreitet (eine Frau ist mit mehreren Brüdern verheiratet, um eine Erbteilung unter den Brüdern zu vermeiden).
In der Folge können viele andere Frauen nicht heiraten.
Ich war eine Woche in Lo Mantang und bin von dort zusammen mit Laxmi Gauchan (Sahayog Himalaya-Nepal) und einem Ortskundigen zu Fuß, teilweise zu Pferd in entlegenste Dörfer gegangen, um das Projekt auszudehnen. Eine Passhöhe hinter Kimling haben wir z.B. in einem winzigen Dorf mit 28 Gebäuden acht (!) Mütter für unser Projekt ausgewählt.
Oder Samsung: In dem selbst zu Pferd schwer zu erreichenden Dorf an der tibetischen Grenze (82 Einwohner) erhalten jetzt fünf allein erziehende Mütter gute Kühe aus Lo Mantang. Die 36jährige Nisung G. z.B. wohnte früher mit ihrem 4jährigen Sohn im Haus ihres Vaters. Als ihr Bruder heiratete, musste sie sich einen Unterschlupf suchen. Derzeit lebt sie in einem Stall-ähnlichen Raum ohne Fenster.
Die 30 Jahre alte Tamdin D. war uns schwer mit Steinen beladen schon auf dem Weg nach Samsung begegnet: Sie lebt zur Zeit bei einem Cousin und hatte, um nicht auch irgendwann in einem solchen Stall zu landen, angefangen, sich selbst ein Haus zu bauen (ein Zimmer, ca. 20 qm – aber eine immense Anstrengung!). Die allein erziehenden Mütter gehen bis nach Choessar (Felder) und Lo Mantang (Baustellen), um dort für mehrere Wochen zu arbeiten.
In Choessar wurden die Kühe gerade zur rechten Zeit vergeben. In mehrere Felshöhlen, in denen allein erziehende Mütter/Großmütter lebten, war Wasser eingedrungen. Durch das Einkommen aus Butter (notwendig für ein Grundnahrungsmittel der Region: tibetischen Tee) und „Churpi“ (Hartkäse aus einer Art Buttermilch) kann z.B. Yangdin G. jetzt ohne Probleme die 3 Euro Miete für das Zimmer aufbringen, in dem die 39jährige jetzt mit ihrer Tochter lebt.
Für eine Tagelöhnerin ohne Kuh ist ein Mietverhältnis ein Risiko und eine hohe Belastung.
Auch die Witwe Tsering A., die ihr ganzes Leben in den Felshöhlen gelebt hat, will aus dem Fels ausziehen – aber erst in ein paar Jahren: „Wenn das Kalb groß genug zum Verkauf ist.“ Die Großmutter muss für ihren 3jährigen Enkel sorgen und auf größtmögliche Absicherung achten. Eine Miete will sie deshalb erst mit einem finanziellen Polster riskieren.
Bisher leistet die 65jährige Frau immer noch Schwerstarbeit als Tagelöhnerin, z.B. beim Bau einer Wasserversorgung für das Dorf. Als sie 2007 erfuhr, dass sie eine Kuh erhalten würde, arbeitete Tsering zwei Monate auf den Feldern anderer als Tagelöhnerin, um sich ein eigenes Butterfass kaufen zu können. – Die meisten Frauen leihen sich erst mal eins im Dorf.
Die Mütter selbst sind zwar fast alle Analphabetinnen und sprechen im Norden kein Nepali, sondern nur Tibetisch. Aber sie sind oft sehr gewitzt: Als beispielsweise das Kalb von Duki G. aus Lo Mantang drei Monate nach der Geburt starb, stopfte sie das Fell mit Heu auf und gibt es der Kuh vor allem beim Melken immer wieder zum Lecken: Die Kuh gibt weiter Milch – als hätte sie nach wie vor das Kalb.
Manche Mütter lassen, wenn beim Melken keine Milch mehr kommt, ganz kurz das Kalb zur Kuh: Danach fließt wieder Milch. – Die Frauen sorgen sehr gut für die Tiere: Futter, Auslauf, Stall – und Tierarzt. Etliche Mütter, die tragende Kühe bekommen hatten, waren sogar vorsorglich zum Tierarzt gegangen und hatten sich Tips geben lassen, was sie vor der Geburt für die Kuh tun sollten, damit die Geburt leicht und das Kalb kräftig würde.
Die 51jährige Tolma Y.G. aus Lo Mantang bekam trotzdem ein sehr kleines Kalb. Wenn sie morgens, bevor die Kuh mit den anderen Kühen des Dorfs zu den Wiesen getrieben wird, melkt, macht sie das nicht zum Buttermachen. Sondern – verteilt über den Tag – flößt sie dem Kalb die Milch mit einem Esslöffel ein: „Bis es etwas kräftiger ist! Damit ihm nichts fehlt, bis die Kuh von der Weide kommt.“
Die Freude und die Dankbarkeit für die Tiere ist überwältigend.
In Gelling (Upper Mustang) kamen alle sieben Mütter, die eine Kuh erhalten hatten, morgens kurz vor unserem Aufbruch in unsere Unterkunft. Jede mit einem weißen Schal und einer vollen 1-l-Kanne tibetischen Buttertees, den wir trinken sollten!
In Myagdi und im südlichen Teil von Manaslu, wo die Mütter einen Wasserbüffel ernähren können, möchten sie meist einen Wasserbüffel, obwohl das Füttern mehr Arbeit macht. Das Einkommen aus der Milch ist ähnlich wie bei guten Kühen. Aber während Kühe im Alter ihr Gnadenbrot bekommen, werden Wasserbüffel geschlachtet, wenn sie zu alt sind, um Kälber zu gebären. Das Fleisch bringt 160-200 Euro.
In Myagdi erhielten etliche sehr junge Mütter Wasserbüffel. Die Frauen wurden nach ein paar Jahren Ehe verlassen. Übergangsweise haben sie Unterschlupf bei Verwandten und leben von ungewissen Tagelöhnerinnenjobs.
Die 21jährige Pipala R. (2 Kinder) verkauft jetzt täglich Milch an Teehäuser (1,50 Euro). Die 26jährige Kortko D.B. (2 Kinder) kaufte ursprünglich Getreide, braute Wein und verkaufte ihn. Dann tauschte sie ihre Wasserbüffelmilch gegen Getreide. Inzwischen baut sie das Getreide für den Wein selbst an und verdient jetzt 3,50 Euro am Tag. Die 23jährige Muna J. (eine Tochter) will später ihr (männliches) Kalb verkaufen und mit dem Erlös ein eigenes Teehaus eröffnen.
Bisher konnten wir leider erst sieben Pferde an Hebammen/weibliche Amchis vergeben, weil es kaum gut ausgebildete Geburtshelferinnen gibt. Viele Hebammen haben nur eine einwöchige Einweisung in einer Gesundheitsstation. Nach den Berichten der Hebammen war dabei die Babypflege ein wichtiger Schwerpunkt, über Geburtshilfe wissen sie sehr wenig.
Esel-Initiative und Sahayog Himalaya-Nepal haben daher beschlossen, in diesem Winter ca. 100 Hebammen aus dem Norden der Annapurna- und Manasluregion mehrere Wochen in Pokhara durch einen Gynäkologen im Krankenhaus in verschiedenen Klassen fortbilden zu lassen. Danach sollen sie ein Pferd erhalten. Vorher macht es aus unserer Sicht keinen Sinn.
Die Frauen der Dörfer diskutieren und entscheiden im Konsens, welche Frau die geeignetste für den Kurs ist. Die Zuverlässigkeit, die Anwesenheit im Ort auch während des Winters und das Alter sind dabei wichtige Kriterien. Es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit in Samar (Upper Mustang) die 50jährige Hebamme Dolka. G. erklärte: „Dann soll besser Tschensom G. das Training und mein Pferd erhalten: Sie ist jünger.“
In der Manaslu-Region wurden im Sommer die ersten 56 Naks (weibliche Yaks) vergeben, derzeit werden Wasserbüffel gekauft, danach Esel (beides für Manaslu). Parallel zu Manaslu werden in Myagdi weiter Wasserbüffel vergeben und in Upper Mustang Kühe.
Im Spätherbst beginnt die Auswahl von Müttern in der Dolpa-Region. Es gibt in den Bergen keine wöchentlichen Tiermärkte, sondern die Tiere werden von einzelnen Bauern gekauft.
Die Sorgfalt, mit der Sahayog Himalaya-Nepal das Projekt in den sehr unterschiedlichen Regionen mit schwierigem Gelände (Wege, Wetter) plant und mit lokalen Kräften durchführt, überzeugt – ebenso wie die umfassende Buchhaltung zur Auswahl der Frauen, zum Kauf und zur Vergabe der Tiere.
In die Regionen, in denen wir Kühe mit Jersey-Einkreuzung vergeben, wird auch ein entsprechender Bulle gebracht, damit die Mütter ihre guten Kühe nicht von einheimischen Lullu-Stieren decken lassen müssen, die eine 1-l-Milchleistung vererben. Auch die beiden Nak-Herden erhalten einen Yak.
Wir überweisen dies Jahr 500.000 Euro an Sahayog Himalaya-Nepal (für die Vergabe von Tieren und den Hebammen-Kurs). Lokale Kühe haben im Schnitt 90 Euro gekostet, Kühe mit Jersey-Einkreuzung 380 Euro, Naks und Wasserbüffel 340 Euro, die Pferde für Hebammen 600 Euro (jeweils incl. der Suche nach Anbietern und Transport).
Die ausgesandten Käufer für die Esel berichten von Eselpreisen zwischen 100 und 130 Euro. Jede Mutter entscheidet nach ausführlicher Beratung und Diskussion selbst, welches der möglichen Tiere sie möchte. Wir hoffen, in ein paar Jahren Nachkommen dieser hochwertigen Projekt-Tiere in den jeweiligen Dörfern für weitere Vergaben kaufen zu können.