von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war im Februar/März 2009 in der Manaslu-Region. Um die Klimaschädlichkeit des Fluges abzumildern, wurde eine Klimaabgabe an www.atmosfair.de gezahlt. Die Reise und alles, was damit zusammen hängt, wurden wie immer privat finanziert.
Viele Dörfer rings um den Manaslu sind noch ärmer als die der Annapurnaregion:
Die Hänge sind so steil, dass kaum Felder angelegt werden können. Etliche Frauen wie die Witwe Dil M.G. aus Saleri (zwei kleine Kinder) sind verarmt, weil ein Bergrutsch ihr Feld mitgerissen hat. Manche Mütter sind Witwen, weil ihr Mann beim Holzfällen im Steilhang abstürzte. Die Dörfer haben oft nur 20 oder 25 Häuser und liegen oben auf den Bergen seitlich des 8000ers. Die Böden bringen wenig Ernte. Hinzu kommen viele wilde Affen, die nicht säen aber ernten.
Die Pfade am Manaslu sind sehr schmal, so dass alle Waren von Mulis oder Trägern in die Dörfer gebracht werden müssen und entsprechend teuer sind. Reis kostet schon in Bhi und Ghap (untere Hochgebirgsregion) doppelt so viel wie in Mustang (Annapurna). Da die Region sehr dünn besiedelt ist, ist mit dem Bau einer Trasse nicht zu rechnen. Mangels Tourismus gibt es am Manaslu kaum zusätzliche Jobs. Wenn Bergsteiger den Manaslu besteigen wollen, versuchen auch die allein erziehenden Mütter, Jobs als Träger zu bekommen.
Die gute Nachricht: In der dünn besiedelten und wegen der Steilhänge sehr anstrengend zu begehenden Region sind (bisher) nicht die organisierten Frauenhändler, die in der Annapurna-Region vor allem junge allein erziehende Mütter mit falschen Versprechungen weglocken.
Die Väter der Kinder waren oft ebenfalls Tagelöhner, die selbst weder Haus noch Land hatten. Im Norden konnten viele Frauen aufgrund von Polyandrie nie heiraten und verlieren das Dach über dem Kopf, wenn die Eltern sterben. Auch am Manaslu leben Mütter außerhalb des Dorfs in einer Felshöhle wie die 44 jährige Tsingsum L. Im Winter (5 Monate) dringt Schnee ein, im Frühjahr Schmelzwasser. Mit dem Nak hat sie die Möglichkeit, ein Zimmer zu mieten. Obwohl sie in einer Felshöhle leben, besucht ihr Sohn die 5. Klasse.
Andere Mütter wohnen in einer dreiwandigen Bretterbude, deren vierte Wand ein Fels ist. Bei Nima T. in Sho ragt er sogar in den Raum. Das Haus besteht meist aus einem Raum mit offenem Feuer, geschlafen wird rund um die Feuerstelle auf dem Boden. Etliche Witwen haben zwei, drei oder sogar fünf Kinder, für die sie Essen, Kleidung und Schule bezahlen müssen. Der Tagelohn der Frauen ist am Manaslu extrem niedrig: Sie erhalten 50 Cent bis 1 € oder Getreide statt Geld.
Manche Mütter verkaufen Gras, Kiefernzapfen, Kiefernadeln, Dung oder Holz.
Sehr viel mehr Mütter als am Annapurna müssen selbst mehrstündige Wege über steinige Bergpfade barfuß gehen. In einigen Orten hielten die Kleider der Mütter nur durch die vielen aufgesetzten Flicken noch zusammen.
Die häufigsten Antworten, was die wichtigste Verbesserung durch das erhaltene Tier sei, lauteten denn auch: „Wir haben öfter Tsampa (Getreidebrei) und weniger oft Tsampasuppe“; „Ich kann die Kinder zur Schule schicken“ oder „Ich mache den Kindern jetzt vor der Schule Milchreis“. Fast alle Mütter wollen die Einkünfte aus dem Verkauf ausgewachsener Kälber bzw. aus dem doppelten Einkommen bei weiblichen Kälbern nutzen, um zumindest einem Kind eine weiterführende Schule (secondary school) zu ermöglichen.
Sahayog Himalaya-Nepal (SHN) hat am Manaslu je nach Höhenlage Wasserbüffel, Esel und Naks (weibliche Yaks) vergeben. Die 41 jährige Paria P. lebt in den grünen Bergen im unteren Teil des Manaslu und hat daher einen Wasserbüffel erhalten. Vorher arbeitete die Mutter von zwei kleinen Töchtern auf den Feldern anderer oder klopfte Steine (1 €/Tag). Sie wohnte zur Miete (3 €/Monat).
Einen Monat, nachdem sie den Wasserbüffel erhalten hatte, kaufte sie im Ort für 150 € auf Kredit Wellblech und baute sich selbst ein Haus (Bambus und Wellblech). Den Kredit zahlt sie mit dem Einkommen aus Milch und Ghee (Butterschmalz) zurück. Da sie nun Dung hat, pachtete sie ein Feld und baut Gemüse an.
In der mittleren, weniger grünen Region wurden bis Anfang März 24 Esel vergeben.
Da es am Manaslu bisher keine Esel gab und nur Männer mit Mulis arbeiten, hat SHN mit den Müttern trainiert, wie man die Ware sicher (für das Transportgut) und schonend (für den Esel) packt. Die Mütter haben die Tiere mit einer stabilen Schutzdecke für das Tier erhalten.
Da die Esel relativ klein sind, werden sie insgesamt nur mit 40 kg beladen. Aber die Mütter sind froh, dass sie diese 40 kg (Holz, Dung, Getreide) nun nicht mehr selbst schleppen müssen. Einige nutzen die Esel für kleinere Transporte, z.B. um Holz zu sammeln und zu verkaufen, um Steine oder Getreide zu transportieren. Acht Frauen rings um Eklaibhatti wollen mit ihren acht Eseln gemeinsam eine Eselkarawane für Transporte von 8-10 Tagen zusammenstellen, um Waren von der Straße am Fuß des Manaslu bis hinauf in die Hochgebirgsdörfer zu bringen. Bei Eseln reicht ein/e Führer/in aus, um acht Tiere zu führen.
Solche Transporte verschaffen in der Manaslu-Region ein gutes Einkommen. Da in diesem Beruf bisher nur Männer arbeiten, wird ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von SHN die ersten Transporte begleiten, um den Frauen den Anfang zu erleichtern. Vor allem für die Mütter, die aus den Bergdörfern rings um Eklaibhatti kommen, ist das ein enormer Schritt.
In der Gruppe sind einige selbstbewusste ältere Mütter und einige sehr junge Frauen. Zu den erfahreneren Frauen gehört die 40 jährige Maili G., eine Witwe mit zwei kleinen Kindern, die beide zur Schule gehen. Sie arbeitet auf den Feldern anderer und braut Rakshi. Pro Monat produziert sie 15 Flaschen, die sie für je 15-20 Cent verkauft. Außerdem hat sie sich ein Entenpärchen gekauft. Sie ist die einzige der acht Frauen, die außer dem Esel überhaupt ein weiteres Tier besitzt. Aber trotz all der Anstrengung reichte der Verdienst bisher meist nur für Tsampasuppe.
Zwei Frauen, die sich an dieser Eselkarawane beteiligen wollen, sind 16 jährige Mädchen, die jeweils für das Kind ihrer verstorbenen Schwester sorgen. Die Väter der Kinder sind bereits vor der Geburt der Kinder weggegangen. Sarkini G. ist selbst Waise, sie wohnt jetzt mit dem kleinen Neffen in einer Bambushütte, die ihr verstorbener Schwager und ihre Schwester gebaut hatten. Sie hat kein Land, war selbst nie in der Schule und lebt von Tagelöhnerjobs.
Auch die heute 16 jährige Lushini G. sorgt auf diese Weise für ihren Neffen. Seine Mutter starb, als er zwei Monate alt war. Lushini hat zumindest etwas Land, auf dem sie Mais und Kartoffeln anbaut. Den Eseldung nutzt sie auf dem Feld. Das Kind geht inzwischen zur Schule.
Da Sarkini und Lushini de facto schon vor Jahren die Funktion einer Mutter übernommen haben, haben sie – mit großer Zustimmung der anderen Frauen im Dorf – auch eine Eselin bekommen. Ebenso wie Großmütter, die allein für Enkel sorgen müssen wie z.B. die 62 jährige Nilta S. aus Lihi, die ein Nak erhalten hat. Sie kann schon zu wenig Kraft für schwere Tagelöhnerarbeiten.Ni
In der Hochgebirgsregion des Manaslu wurden bis Anfang März 56 Naks vergeben. Alle Naks konnten in der Region gekauft werden. Die Mütter halten die Tiere in Herden, für die sie gemeinsam sorgen. Im Winter, wenn die Naks auf Weiden in der Nähe (2-3 Stunden Fußweg) der Dörfer fressen, kümmern sich die Frauen alleine um die Tiere. Im Sommer, wenn die Naks auf weit entfernten Hochweiden leben und abends nicht mehr ins Dorf kommen, beschäftigen die Mütter einen Hirten, der den ganzen Sommer bei den Tieren in den Bergen bleibt.
Die Frauen wechseln sich ab, um auf den Hochalmen zu melken. Die erwachsenen Naks finden ihr Futter selbst, d.h. die Mütter müssen nicht Futter zu den Tieren bringen. Lediglich die kleinen Kälber halten die Mütter im Winter am Haus – und erhalten so außerdem bequem Dung als Brennstoff. Nakbutter ist sehr begehrt. In einigen Dörfern sind die von SHN vergebenen Naks die einzigen, so dass das ganze Dorf froh ist, nun echte Nakbutter für den tibetischen Tee kaufen zu können, statt wie bisher Importbutter.
Außerdem machen die Mütter Schurpi (Hartkäse aus Buttermilch), für den sie ebenfalls 4,50-5 €/kg bekommen. Zudem liefert ein Nak Wolle, um alle 3-4 Jahre eine dicke Decke zu weben. Bei den Naks wollen die Mütter oft auch die männlichen Kälber behalten, weil sie z.B. zum Decken von Kühen eingesetzt werden. Wird danach ein Kalb (Dzo) geboren, erhält die Besitzerin des Yaks ca. 8 €.
Manche Mütter wollen ausgewachsene Yaks an Handelskarawanen vermieten (1 €/Tag), andere verkaufen (200-250 €). In beiden Fällen reicht das Einkommen, damit ein Kind die secondary school besuchen kann. Beim Verkauf von Nachkommen der vergebenen Naks, Wasserbüffel, Esel und Kühe werden ehrenamtliche Helfer von SHN den Müttern helfen, damit sie auch den Marktpreis erhalten.
Sehr imponiert haben mir die tatkräftigen und sehr hart arbeitenden Mütter in Sama Gaon.
Die 33 jährige Tsiring T. geht zweimal am Tag bergab, um jeweils 40 kg Holz zu sammeln, klein zu schneiden und im hoch gelegenen Sama Gaon zu verkaufen – Tagesverdienst: 1 €. Die Frauen in Sama Gaon weben auch für den Verkauf. In manchen Jahren verdienen die Dörfer in dieser Region viel Geld beim Sammeln des Raupenkeulenpilzes, der nach China verkauft wird.
Tashi N. und einige andere allein erziehende Mütter haben sich mit diesem Verdienst selbst ein Haus gebaut. Tashi N. sprüht vor Energie und denkt sehr strategisch, unternehmerisch. Als ihr Mann starb, lernte die 38 jährige Witwe (vier Kinder, die alle zur Schule gehen) selbst Nepali, um besser Handel treiben zu können. Die meisten Frauen in der Hochgebirgsregion sprechen ausschließlich Tibetisch.
Tashi nutzt ihren Innenhof auch als Campingplatz. Als sich während meines Aufenthalts das Nakkalb eines anderen Dorfbewohners ein Bein brach, trugen die Männer das Tier wie selbstverständlich zu ihr, damit sie sich kümmerte, bis ein Tierarzt zum Schienen kam. Sie ist auch eine treibende Kraft in der Müttergruppe. Sie hat ebenso wie Tsiring T. ein Nak mit weiblichem Kalb.
Für das Hebammentraining wurde inzwischen ein Kursprogramm zusammen gestellt, das auf das Arbeitsumfeld (Hausgeburten unter schwierigen hygienischen Umständen) zugeschnitten ist und wirklich auf praktische Erfahrung fokussiert. Es sollen vier Kurse mit je 25 Hebammen durchgeführt werden. SHN sucht derzeit eine Lehrerin – Gynäkologin oder sehr erfahrene Hebamme -, die auch die Arbeitssituation in den Bergdörfern kennt und einen fundierten Kurs geben kann.