von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war 4 Wochen in Nepal, um das Projekt in Upper Mustang und im nördlichen Teil von Lower Mustang zu prüfen und auszuweiten. Sie hat die Klimaschädlichkeit des Fluges über eine Klimaabgabe an www.atmosfair.de gemildert und die Reisekosten gespendet.
Der Projektbesuch war erneut in Upper Mustang,
weil wir dort, wo wir 2007 die ersten Tiere vergeben haben, nun die inhaltliche Ausweitung des Projekts starten. Sahayog Himalaya-Nepal (SHN) will die Vergabe nicht auf noch mehr Regionen ausdehnen, weil wir sonst den Erfolg des Projekts nicht mehr verfolgen können.
Das Ziel ist, den Müttern eine Einnahmequelle zu verschaffen, die es ihnen ermöglicht, entweder ihre Wohnsituation zu verbessern oder zumindest einem Kind eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Tsiring M.’s Tochter beispielsweise ist inzwischen in der 10. Klasse und will Krankenschwester werden; das ist nur in Pokhara oder Kathmandu möglich und für die Mutter mit erheblichen Kosten verbunden. Da Tsiring M’s Tochter voraussichtlich für ihre Mutter im Alter sorgen wird, wäre das nicht nur ein großer Entwicklungssprung für die Tochter, sondern für mehrere Dörfer in Upper Mustang auch die Chance, eine gut ausgebildete Krankenschwester zu bekommen, die ganzjährig im Dorf bleibt (die Gesundheitsstationen sind nur im Sommer besetzt).
Viele Mütter haben inzwischen 4-5 Kühe/Kälber, sie können sich ganzjährig mit Butter und Öl (Ghee/Butterschmalz) und 5-8 Monate mit Getreide selbst versorgen, was eine enorme Verbesserung ist. Manche ernten sogar genug fürs ganze Jahr, wie die 33jährige, unverheiratete Tsiring D. aus Dzong. Sie hat inzwischen 1 Kuh und 4 Kälber unterschiedlichen Alters, 3 l Milch pro Tag und jede Menge Dung für ihre Felder. Ihr Sohn besucht die 6. Klasse, Tsiring sorgt auch für ihre alte Mutter.
Aber immer noch wohnen sie unter unwürdigen Bedingungen. Häuser sind oft um einen viereckigen Innenhof gebaut und haben auf der 1. Etage einen umlaufenden „Balkon“ zum Innenhof. Wie viele allein erziehende Mütter wohnt Tsiring in den Nischen dieser Empore, d.h. ihr winziges Schlafzimmer (mit einem Teppich bedeckte Betten aus Lehm) ist offen zum Innenhof; die noch kleinere Küche ist unter der Treppe zum Dach, also der Witterung ausgesetzt.
Ein kleines Haus zu bauen, das für Upper Mustang ausreichend winterfest ist, kostet 3-6.000 Dollar. Das ist in der Regel für allein erziehende Mütter nur finanzierbar, wenn sie (1) Nepali sprechen, (2) genügend Selbstbewusstsein, Verhandlungsgeschick und Schulbildung haben, um im Winter im Tal (Pokhara, Kathmandu) für Händler im Dorf-zu-Dorf-Verkauf zu arbeiten und (3) verlässliche Verwandte haben, die im Winter ihre Kinder und Kühe versorgen können.
Eine „unserer“ Mütter aus Tsarang, Nima T., hat auf diese Weise ein sehr schönes Haus mit drei Zimmern gebaut. Aber die meisten allein erziehenden Mütter sind Analphabetinnen, viele sprechen kein Nepali (in Nepal werden 66 Sprachen gesprochen; wer in den Bergen lebt und nicht in der Schule war, spricht meist nur die lokale Sprache), nur wenige können ihre Kinder für Monate unterbringen. Sie brauchen, um ein Haus zu bauen, eine gute Einnahmequelle im oder in der Nähe des Dorfs.
Die Mitgliederversammlung der Esel-Initiative hatte daher im März beschlossen, künftig auch die Vergabe von Apfelbäumen und kleinen Gewächshäusern zu finanzieren. Voraussetzung für die erneute Hilfe sind Kinder, die noch für einige Zeit zur Schule gehen.
Die Witwen haben meist Land, die unverheirateten Mütter jedoch nicht. Nach unserer Recherche vor Ort sind Eltern, der älteste Bruder oder die Tante aber bereit, ein 20qm Feld unter Zeugen und mit Unterschrift auf einer Landabtretungsurkunde von Sahayog Himalaya-Nepal dauerhaft an die Tochter/Schwester/Nichte abzutreten, wenn sie eine derartige Hilfe bekommen kann. Die Zeichnung dieses Dokuments ist Voraussetzung für die Vergabe.
Für die unverheirateten Mütter ist das eine einmalige Chance,
sich und ihre Kinder langfristig abzusichern, denn Obst und Gemüse sind in Upper Mustang knapp, teuer und werden immer stärker nachgefragt, weil der Tourismus (vor allem der Campingtourismus in entlegene Dörfer) in Upper Mustang boomt. Auf dem früher beliebten (und viel kostengünstigeren) Jomsom-Beni-Treck trifft man wegen des dort vollendeten Straßenbaus kaum noch Trecker; sie gehen stattdessen in weniger zugängliche Regionen wie Upper Mustang und Manaslu. Die Camping-Gruppen versuchen in den Dörfern Gemüse und Obst zu kaufen.
Die Konstruktion der unbeheizten Gewächshäuser nutzt die Wärmespeicherung von Lehm und Steinen. Nach Norden haben sie eine Wand aus Lehm und Stein bis Firsthöhe; ein schmaler Streifen in Firsthöhe wird ebenfalls mit Holz und Lehm gedeckt, um den Abzug warmer Innenluft am Abend zu verlangsamen. Die schrägen Seitenwände sind ebenfalls aus Lehm und Stein, während das Dach und die Südseite vom Boden bis zum First Plastik auf einer Konstruktion von Bambus bzw. Holz sind. Der Boden wird 50 cm tief ausgehoben, weil die tiefere Erdschicht wärmer ist als die Oberfläche.
Der Bau eines solchen Gewächshauses dauert mehrere Wochen, wir bezahlen jeder allein erziehenden Mutter für die Bauzeit Tagelohn, weil sie sonst zu lange auf zusätzliches Einkommen verzichten müsste. Die Mütter erhalten die ersten Samen und ein Training zur Produktion von Setzlingen und Gemüse, denn sie alle haben keine Erfahrung mit Tomaten, Gurken, Zucchini, Bohnen, Kohl, Kürbis etc.
In Upper Mustang ist diese Art von Gewächshäusern ganzjährig nutzbar, allerdings im Winter und Sommer für unterschiedliche Gemüse. Einige wenige große Gästehäuser haben Gewächshäuser, um Touristen zu bekochen. Die allein erziehenden Mütter und ihre Kinder werden viele dieser Gemüse erstmals in ihrem Leben essen und zum ersten Mal rund ums Jahr Gemüse haben.
Das obere Lower Mustang und Upper Mustang haben spezielle, ans Klima und die Höhe angepasste Apfelbäume.
Apfelbäume sind einfacher zu handhaben als Gewächshäuser; etliche (vor allem ältere) Mütter, die sich ein Gewächshaus nicht zutrauen, haben sich daher für Apfelbäume entschieden. Wir pflanzen sie mit einer simplen unterirdischen Bewässerung direkt an der Wurzel, denn in einigen Orten wird Wasser knapp und die traditionelle Flutung der Felder, bei der auf 3.500-4.000 m (mit oft starkem Wind) sehr viel Wasser verdunstet und verrieselt, ist nicht nachhaltig.
Beim Pflanzen des Baums wird neben der Wurzel ein Rohr mit Steinen fest verankert; im unteren Teil des Rohrs ist ein Schwamm; dann wird das Loch rund um den Setzling und das Rohr mit Erde gefüllt. Die Mutter muss manuell je nach Jahreszeit das aus der Erde ragende Rohr mehrmals die Woche mit Wasser füllen. So können wir für die Apfelbäume auch Felder nutzen, die oberhalb des Bachs oder für eine Flutung zu weit vom Bach entfernt liegen. Denn die Menge Wasser, die die Mutter braucht, ist sehr begrenzt.
So viel zu den Neuerungen. Es gibt aber auch viel von den Müttern zu berichten. Spitzenreiter bei der Anzahl der Tiere ist die taubstumme, unverheiratete Lama T., die bisher immer weiblichen Nachwuchs bekam und daher kein Tier verkaufte. Sie hat aktuell sieben Kühe/Kälber. Ihre beiden Kinder gehen zur Schule. Lama gehört zu den Müttern, die gern ein paar Apfelbäume hätten.
Dossilamo G., die ärmste allein erziehende Mutter in Chössar (drei Kinder; s. Reiseberichte 2007 und 2008), lebt noch in einer im Frühjahr nassen Felshöhle, aber sie besitzt inzwischen nicht nur eine Kuh und zwei Kälber, sondern sie hat auf Kredit auch ein kleines Stück Land gekauft, eine beeindruckende Anzahl schwerer Steine vom Fluss herbeigeschleppt und einen großen Stapel Lehmziegel gemacht.
Dossilimo hat Klasse 10 abgeschlossen, sie spricht Nepali und versteht sogar etwas Englisch. Sie hat ein Arrangement mit einer anderen Mutter getroffen, die im Winter für ihre Kinder und die Kühe sorgen wird. Dossilamo will im Winter, wenn es in Upper Mustang kaum Arbeit gibt, ein paar Monate in Kathmandu arbeiten und im nächsten Jahr ihr Haus bauen.
In Tsarang spart Doka G. (Reisebericht 2011) für den Bau eines Hauses. Sie hat 5 Kühe/Kälber, mehrere Felder und eine Arbeitgeberin, bei der sie fast alle Mahlzeiten bekommt. Sie hat schon 200.000 Rupien (ca. 2.000 Dollar) beisammen.
Insgesamt machten die Mütter einen weniger gehetzten Eindruck als vor Jahren. Die hohe Zahl weiblicher Kälber und inzwischen auch Kühe nimmt die Angst der ersten Jahre, der einzigen Kuh könnte etwas zustoßen.
Viele Mütter haben männliche Kälber verkauft und konnten Anschaffungen für 7-8.000 Rupien machen – eine früher unvorstellbar hohe Summe. Sie müssen nicht mehr jede Arbeit annehmen, weil sie einen großen Teil der Lebensmittel selbst produzieren. Viele Mütter sind stolz, dass sie Schulgebühren für eine Sekundarschule in einem anderen Ort aufbringen können (in Upper Mustang haben die Schulen in den kleinen Dörfern oft nur die ersten 3-4 Klassen).
Wie immer trafen wir außerdem neue allein erziehende Mütter, die nun ebenfalls eine Kuh bekommen, z.B. die 25jährige Sonu und die 24jährige Urmila, die beide unverheiratet sind und ein Kind im Vorschulalter haben. Eine Kuh oder (je nach Höhenlage) ein anderes großes Milchtier bleibt unsere erste Hilfe für diese Mütter, denn eine Kuh liefert Milch (Butter ist der Wärmelieferant im Winter) und Dung, um erfolgreich Landwirtschaft zu betreiben.
Wir (SHN und Esel-Initiative) beobachten einen kulturellen Wandel: Vor Jahren wurden unverheiratete Frauen oft mit 35-40 Jahren schwanger, heute sind es sehr junge Mädchen, oft die hübschesten des Dorfs. Anders als früher wird es zur Schmach ledige Mutter zu sein.
Wegen der Erntezeit habe ich auf dieser Reise nur drei Hebammen getroffen (in Tsarang, Jhara und Samar). Alle waren kompetent und berichteten im Detail von ihrer Arbeit. Insgesamt sinkt die Geburtenzahl in den Bergdörfern. Durch den Trassenbau gehen Frauen aus besser gestellten Familien inzwischen häufiger 1-2 Monate vor der Geburt zu Verwandten nach Jomsom oder Pokhara und entbinden dort im Krankenhaus. Aber die Armen bleiben weiter auf die Hebamme vor Ort angewiesen.
Pema B. hat alleine eine zwei Tage dauernde Geburt für Mutter und Kind erfolgreich zu Ende gebracht. Die Hebamme von Samar wurde von der Gesundheitsstation mit Verbandsmaterial und Medikamenten gegen verschiedene kleinere Krankheiten ausgestattet und fungiert inzwischen zusätzlich als mobiler Gesundheitsdienst für drei Dörfer (sie hatte nach dem Hebammentraining ein Pferd erhalten).
„Aber das Wichtigste, was ich immer wieder sage und zeige, ist: Händewaschen! Vor allem nach der Toilette, der Feldarbeit oder der Arbeit im Stall. Wir können so vielen Krankheiten vor allem bei Kindern vorbeugen, wenn sich alle öfter richtig und gründlich die Hände waschen“, sagt Tschensom, „auch die Fingernägel und die Schrunden.“ SHN hat 23 Frauen aus Karnali (weit westlich des Daulaghiri) für ein Hebammentraining ausgewählt.