von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war mehrere Wochen in Nepal, um das Projekt in Langtang zu prüfen. Um die Klimaschädlichkeit des Fluges zumindest etwas abzumildern, wurde eine Klimaabgabe an www.atmosfair.de gezahlt. Stefanie hat die Kosten der Reise privat getragen.
Allein erziehende Mütter in Passang D.’s Lage gibt es in Langtang leider oft:
Die 32jährige Witwe hat 600.000 Rupien (100 Rupien/1 Euro) Schulden wegen Arztkosten ihres Mannes. Für seine Beerdigung musste sie ihr kleines Stück Land verkaufen. Nach der Beerdigung musste Passang aus dem Haus der Schwiegereltern ausziehen, da die nun ihr Haus dem nächstälteren Sohn vererben wollen.
Passang lebt derzeit mit ihren 4 Kindern (10 Jahre bis 7 Monate; die drei älteren Jungen gehen zur Schule) bei ihren Eltern in einem kleinen Zimmer, in dem an der Feuerstelle ein paar Holzbretter den Erdboden bedecken. Sie weiß, dass sie beim Tod der Eltern wieder auf der Straße stehen wird. Ihre Kinder auch nur zu ernähren, ist viel schwieriger geworden, da sie ihr Land verkaufen musste. Sie hält ihre fünfköpfige Familie mit Rakshi-Brauen notdürftig über Wasser.
„Wenn meine Eltern uns nicht mit Lebensmitteln helfen würden, wüsste ich nicht, wie ich die Kinder ernähren sollte. Sobald das Baby etwas größer ist, muss ich unbedingt wieder Tagelöhnerarbeit finden.“ Sie hat eine lokale Kuh mit Kalb erhalten, ihre Kuh ist wieder tragend. „Die Milch bekommen die Kinder. Mit dem Dung kann ich jetzt wenigstens meinen Eltern helfen, Kartoffeln für uns anzubauen.“ Einige Witwen konnten nach dem Tod des Mannes im Haus des Ehemanns bleiben, aber auch sie leben meist unter schwierigen Bedingungen, weil die Schulden der Beerdigung drücken und viele Kinder ernährt und gekleidet werden wollen.
Sich selbst ein Haus zu bauen, ist in Langtang sehr teuer, da Holz von fern geholt werden muss. Langtang ist Naturpark (vor allem zum Erhalt des Roten Panda), das bedeutet für die Menschen: Sie dürfen keinen Baum fällen und nicht jagen. Vom Schutz des Roten Pandas und des Schneeleoparden profitieren auch Affen und Wildschweine, die Affen klauen tagsüber die Ernte, die Wildschweine verwüsten nachts die Felder.
Die 39jährige Karmu G. (eine Tochter, 2. Klasse) baute sich trotz der Schwierigkeiten in den acht Monaten seit der Vergabe von Tieren bereits ein Haus. Karmu wurde von ihrem Mann verlassen und zog zurück zu ihren Eltern. Als sie die Kuh erhielt, nahm sie einen Kredit auf, nutzte die Hauswände zweier Häuser und baute ein 2,50×2,50m großes Häuschen. Dort startete sie umfangreiche Rakshi-Produktion für den Verkauf. Außerdem pachtete sie ein Feld, da sie jetzt Dung hat.
Mlang D., vier Kinder zwischen 5 und 12 Jahren, musste seit dem Tod ihres Mannes wieder bei ihren Eltern leben, um zumindest etwas Unterstützung zu haben. Als sie die Kuh erhielt, zog sie mit ihren Kindern zurück ins leerstehende Haus ihres Mannes.
Sahayog hat im Frühsommer 2011 in Langtang 2 Naks, 44 Kühe und 44 Wasser-büffel vergeben. Die Dörfer sind winzig (oft 5-7 Häuser) und sehr über die steilen Berge verstreut. In Chilime hat selbst der Hauptort nur 7 Häuser! Es war ein enormer Zeiteinsatz der Sahayog-Helfer, der sich aber sehr gelohnt hat.
In Langtang leben sehr viele Tamang, die eine sehr eigenständige Kultur haben, sie tragen z.B. nach wie vor ihre selbstgewebte Tracht aus Ziegenwolle. Die Ziegen leben mit Hirten auf Hochweiden. Eine Organisation vermittelt fast alle Kleinkinder unverheirateter Mädchen in Waisenheime in Kathmandu. Anders als in den anderen Projektregionen haben daher in Langtang hauptsächlich allein erziehende Witwen und verlassene Ehefrauen mit vier oder mehr Kindern Tiere erhalten.
Etliche Männer sind an Krankheiten (vor allem an Tumoren) gestorben oder bei der Arbeit in den steilen Hängen abgestürzt,
andere wurden von Maoisten getötet. Viele Männer haben ihre Frau mit vier oder fünf Kindern zurückgelassen, um andernorts ein junges Mädchen zu heiraten. Zum Glück hat der Frauenhandel in dieser Region nach Aussage der Mütter nachgelassen, weil auch die jungen Frauen nicht mehr leichtgläubig Versprechungen folgen.
In der Region unter ca. 2200 m Höhe gibt es zwei Ernten pro Jahr (Bohnen, Erbsen, Gerste, Kartoffeln, Kichererbsen, Mais, Hirse, in den unteren Regionen auch Linsen). Die Mütter in der Kuh- und Wasserbüffelregion können daher mehr als sechs Monate Tagelöhnerarbeit finden. Allerdings bringt ein Tag Feldarbeit in Langtang nur 50-100 Rupien pro Tag ein. Die Mütter nehmen daher jede noch so schwere Arbeit an, die sie bekommen können.
Die zierliche 35jährige Witwe Vishnu K. (4 Kinder unter 12) schindet sich für 300 Rupien (ohne Essen) auf Baustellen. Vishnu hat einen Wasserbüffel mit männlichem Kalb erhalten, das sie in zwei Jahren für 20.000 Rupien verkaufen will. Derzeit erhält sie pro Liter Ghee (Butterschmalz) 600 Rupies. Den Dung nutzt sie auf dem eigenen Feld.
Allein erziehende Mütter arbeiten auch als Trägerinnen für Waren wie die 36jährige Witwe Yokki T. (4 Töchter zwischen 13 und 4 Jahren). Für eine 30-kg-Last über eine 2 1/2stündige Strecke bergauf erhält sie 200 Rupien. Die 38jährige Witwe Yomend T. (2 Kinder unter 5) trägt sogar mehrfach im Jahr wochenlang für Treckingfirmen 40 kg; pro Tag erhält sie netto 200-250 Rupien.
Da die Chinesen eine Straße von der Grenze nach Kathmandu bauen, werden die Jobs als Träger schon jetzt rarer. Wir vermuten, dass in ein paar Jahren viele Männer die Region verlassen haben werden, weil sie keine Arbeit mehr finden. Wir wollen deshalb in 4-5 Jahren in Langtang nochmals Tiere vergeben.
Einige Frauen haben sehr pfiffige Geschäftsideen,
z.B. die 54jährige Diki S., die unverheiratet ist und für den siebenjährigen Sohn ihres verstorbenen Bruders sorgt, dessen Mutter früh starb. Diki macht Rakshi (25 Rupien pro Flasche), und geht mit dem Einkommen über die tibetische Grenze, kauft dort Kekse, Süßigkeiten etc. „en gros“ und verkauft sie vor der Schule in Miniportionen, denn es gibt auch Kinder reicherer Bauern. Diki hat eine Kuh erhalten, die mit anderen auf einer Hochweide ist. Obwohl sie für ein kg ihrer Butter hinter der tiibetischen Grenze 900 Rupien bekommen würde, gibt sie sie dem Kind: „Meine Butter ist gesünder als alles andere. Seit ich die Kuh habe, kaufe ich keine chinesische Butter mehr.“
Die 43jährige Witwe Lakpa K. (5 Kinder zwischen 13 und 2 Jahren, vier gehen zur Schule) nutzt diverse Einkommensmöglichkeiten: Sie webt Schürzen für den Verkauf (ca. 6000 Rupies pro Jahr), sie macht Rakshi für den Verkauf, sie hat vier Hühner und verkauft Eier. Sie hat jetzt erheblich mehr Ernte: Früher hatte sie keinen Dung, jetzt hat sie Mist von zwei weiblichen Kälbern und der Kuh. Sie will alle Tiere behalten und später Butter verkaufen. Bevor sie die Kuh erhielt, baute Lakpa ohne Dünger an und nahm in Kauf, dass die Ernte sehr gering war.
Alle Mütter, vor allem in der Region mit Kühen, waren extrem dankbar, dass sie nun Dung haben.
Etliche waren gezwungen, Dung zu leihen gegen einen vorher vereinbarten Anteil der Ernte. Auf Pachtland (50% der Ernte ist für den Besitzer) blieb dann für die Mutter fast nichts. Um Mist zu erhalten, liehen etliche Mütter früher die Kühe reicherer Bauern. Die Mütter mussten die Tiere in den Monaten durchfüttern, in denen Futter rar war, und durften dafür den Dung dieser Zeit behalten.
Aber nicht alle Mütter fanden LeihKühe im Dorf. Die 49jährige Witwe Nursi T. z.B. wohnt in Gatlang, sie musste sich immer eine Kuh in Gre leihen. Das liegt einen Tag Wegstrecke (ohne Kuh) entfernt. Die Kuh durch dieses Berggelände nach Gatlang zu führen war schwer und verantwortungsbeladen. Viele Mütter berichteten von großen Schwierigkeiten, eine Leihkuh für Dung zu finden.
In Langtang bringen manche Frauen ab einer Höhe von 2000 m ihre Kuh zum Decken bergauf zum Yak, zahlen dafür aber 1000 Rupien (der Stier ist kostenlos). Die direkten Nachkommen, Dzos, sind viel größer und stärker als Kühe, sie geben ca. 3 l sehr fette Milch (bezahlt wird nach Fettgehalt). Ein männliches ausgewachsenes Tier kann man für 25.000 Rupien verkaufen oder für 500 Rupien/Tag zum Pflügen vermieten. Jüngere Mütter entscheiden sich oft für Dzos. Nachkommen der Dzos sind aber nicht zur Weiterzucht geeignet. Sahayog fordert, dass die Mütter zuerst zumindest ein weibliches Kalb von einem Stier produzieren sollen, damit sie ihre Kuh später ersetzen können.
11 Frauen aus Helambu-Langtang (10 mit 10jähriger Schulbildung) haben das Hebammentraining erhalten,
7 Hebammen habe ich unterwegs getroffen. Das Engagement der Hebammen hat mich begeistert. Sie gehen einmal im Monat in alle Dörfer ihrer Region, um festzustellen, ob jemand schwanger ist. Die Zeit und die Mühen, die diese Frauen ehrenamtlich aufbringen, sind enorm.
Sie sprechen mit der werdenden Mutter alles durch, was sie selbst für eine sterile Geburt bereitstellen muss. Sie tasten und hören den Bauch ab, um Unregelmäßigkeiten festzustellen und die Frauen ggf. in ein Krankenhaus zu schicken. Die Hebammen diskutieren während der Schwangerschaft auch unwirksame oder schädliche traditionelle Praktiken, damit bei der Geburt Einverständnis mit der werdenden Mutter und der oft anwesenden Schwiegermutter herrscht.
Traditionell wird z.B. erst nach der Nachgeburt abgenabelt (noch dazu mit einem nicht sterilen Küchenmesser!), dem Säugling wird Öl in Augen, Mund und Ohren geträufelt, die Geburt geschieht traditionell möglichst nah am Feuer, die Frau soll während der Geburt viel essen und auch während der Presswehen flach liegen, etc. Die von den Hebammen propagierte Geburt mit aufgerichtetem Rücken beim Pressen wird als ungeheure Erleichterung empfunden.
Die Hebammen sammeln auch offenbar wirksames traditionelles Wissen und geben das über Sahayog an die Ärztin weiter.Wenn die Nachgeburt z.B. trotz Massage nicht kommt (eine Ausschabung ist selbst in den Gesundheitsstationen nicht möglich), suchen Familienangehörige am Bach eine ganz bestimmte Kröte, die gekocht wird. Trinkt die Mutter diesen Sud, kommt die Nachgeburt nach Aussagen aller prompt.
In der Regel betreut eine Hebamme 6-7 Frauen gleichzeitig, manche aber auch 15. Fast alle hatten vorher nicht als Hebamme gearbeitet, sich aber ehrenamtlich engagiert.
Nur die 36jährige Nima T., selbst Mutter von 5 Kindern, hatte schon früher als Hebamme gearbeitet, aber ihre Praxis während der Geburt habe sich nach dem Training komplett geändert. Sie habe früher auch nie Besuche während der Schwangerschaft gemacht, in die sie jetzt aber sehr viel Zeit investiert. Sie habe früher Nachblutungen nicht weiter beachtet, während sie jetzt die Frauen nach der Geburt mehrfach besucht, um die Mutter bei Nachblutungen oder hohem Fieber sofort ins Krankenhaus zu bringen.
Das Training im Krankenhaus in Kathmandu hat den Hebammen sehr viel Ansehen und Respekt in den Dörfern gebracht. Beda. K. beispielsweise betreut nicht nur Geburten in den Dörfern, sondern die Gesundheitsstation ruft sie auch, sobald eine Frau zum Gebären in die Station kommt.